Platon nannte es das „innere Vorstellungsbild“, eine Vorstellung, die uns – wie ein innerer Kompass den Weg weist. Wir folgen – ob bewusst oder unbewusst – einer Idee von dem, was sich vor unserem geistigen Auge formt. Wir folgen einem Narrativ, das Werte und Emotionen transportiert und das wir als erstrebenswert erachten. Noch verharren wir im Narrativ des 20ten Jahrhunderts, das Konsum und Wachstum zum Allheilmittel erkor und mit „Geiz ist Geil“ unheilvolle Nahrung erhielt. Ungebremster Konsum, ausschließlich auf Effizienz ausgerichtetes Denken und der Glaube an grenzenloses quantitatives Wachstum erschienen uns als erstrebenswerte Größen.

In einer Welt mit endlichen Ressourcen und erkennbar begrenzt skalierbaren Wachstumsperspektiven steht die Weltgemeinschaft vor enormen Herausforderungen. Wagen wir es nicht, uns von diesem Denken zu lösen, laufen wir sehenden Auges in den Abgrund. Wohlstand und Bequemlichkeit haben einen unsichtbaren Kokon um uns gewoben, der ähnlich wie in Platons Höhlengleichnis uns die Sicht auf die Welt versperrt.

Von Uli Mayer-Johanssen

Der erkennende Gedanke

Die Gesetze der sogenannten Wertschöpfungskette haben unseren Blick auf die Welt verengt und zu einem auf Steigerung angelegten und angewiesenen Zwang geführt. Der Soziologe Hartmut Rosa betrachtet in seinem Buch – Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung – die „kapitalistische Steigerung als eine Notwendigkeit unseren Platz in der Welt zu halten.“ – was am Ende zu einer Weltbeziehungsstörung führt. Je mehr wir uns die Welt aneignen, desto entschiedener weicht sie zurück, entzieht sich uns und der Möglichkeit mit ihr in Kontakt zu treten. Bereits das Orakel von Delphi, das neben „Erkenne dich selbst“ Selbstbegrenzung und Maßhalten als zentrale Botschaften formuliert, weist den Weg in die Zukunft. Wir sind aus der Balance geraten und es scheint kein Weg zur Mitte mehr zu geben. Unter dem Diktum „schneller, höher, weiter, mehr“ entgleiten uns Sinn und Sinnhaftigkeit. Die Sehnsucht danach lässt sich allerdings mit Händen greifen und nicht nur die wachsenden psychischen Probleme, die um sich greifen, zeigen eine beängstigende Tendenz und sind ein Zeichen dafür, dass uns die Zukunft entgleitet, dass sie trotz aller wirtschaftlicher Stabilität und „wundersamer“ Geldvermehrung bedrohlich erscheint.

Unsere Vorstellung von einer Welt in der wir leben wollen wird zum Schlüssel des Wandels. Erst wenn wir erkennen, dass wir Natur sind und nicht eine Natur haben, erst wenn wir erkennen, dass wir mit unserem Denken und unserer Haltung Welt und Wirklichkeit gestalten, verkehrt sich ein vermeintlicher schmerzhafter Verzicht ins Gegenteil.

Es würde wohl jeder das Gesagte unterschreiben. Wie kommt es aber, dass die kognitive Dissonanz zwischen Denken und Tun, das bis in höchste Regierungskreise reicht, derart mächtig ist, dass weltweit die eigentlich naheliegende Option einer katastrophenabwendenden Kehrtwendung umgangen wird? Wahrscheinlich müssen erst noch mehr noch größere Katstrophen eintreten, um die Folgen unserer Verhaltensweise nicht nur kognitiv, sondern auch sinnlich zu erfahren. Dann würde die „kritische Masse“ überschritten werden, die notwendig ist, die Trägheit bestehender Prozesse zu überwinden, um eine Veränderung zu erreichen. Muss es wirklich so weit kommen? Sollten wir nicht von allen guten Geistern verlassen sein, wohl nicht. Im Gegenteil, es geht um Visionen die einen Sog erzeugen, die uns Bequemlichkeit, Eitelkeit, alte Denk- und Verhaltensmuster überwinden lassen. Um das Unmögliche zu ermöglichen braucht es, wie Ernst-Ulrich von Weizsäcker fordert, eine Neue Aufklärung, braucht es neue „Abenteuer des Geistes“*, braucht es Menschen, die sich trotz aller Unbillen auf den Weg machen und Herz und Verstand in die Gestaltung unserer gemeinsamen Zukunft einbringen.

* Aurelio Peccei