Der Kapitalismus schafft sich ab – und ersteht grün wieder auf

Der Saal war voller Fans, als Steve Jobs im Jahr 2007 das erste iPhone präsentierte. Weit und breit nicht zu sehen waren dagegen Vertreter der Öl- und Kohleindustrie. Warum sollten sie auch? Ein Mobiltelefon ohne Tastatur war wohl keine Gefahr für sie. Das glaubten sie zumindest.

In Wahrheit demonstriert das iPhone wie keine andere Erfindung, wie technologische Disruption funktioniert: wie ein neues Produkteinen Markt zerstört und schöpferisch neu aufbaut – und gleichzeitig tiefgreifend verändert, wie wir leben, denken und wirtschaften.

Vor einer solchen Disruption stehen wir jetzt erneut: dem Übergang vom fossilen zum grünen Kapitalismus.

Um zu verstehen, wie tiefgreifend dieser Übergang sein wird, muss man zwei Zahlen kennen: 50 und 0. 50: Das ist die Zahl der Gigatonnen an CO2-Äquivalent, die wir als Menschheit heute emittieren. 0: Das ist die Menge an CO2, die wir künftig noch ausstoßen dürfen, und zwar schon ab Mitte des Jahrhunderts. Das ist in nicht einmal dreißig Jahren.

Nichts hilft so gut wie der Kapitalismus, wenn es um die Umwälzung einer ganzen Wirtschaftsweise geht. Schon Karl Marx schwärmte im Kommunistischen Manifest seitenweise von den gewaltigen Produktivkräften des Kapitalismus, war fasziniert, dass er “ganz andere Wunderwerke als ägyptische Pyramiden” vollbringe. Freilich, meinte Marx, der Kapitalismus müsse letztlich an der von ihm produzierten sozialen Ungleichheit zerreißen. Aber besser als der bis dahin herrschende Feudalismus sei er allemal.

Der fossile Kapitalismus hat uns mit all seiner Produktionskraft in die Krise geführt. Ironischerweise ist es auch der Kapitalismus, der uns wieder aus der Krise herausführen kann. Klimaschutz ist ein Weltmarkt mit acht Milliarden Kunden. Investoren und Unternehmer werden diesen Markt nicht an sich vorbeiziehen lassen.

Die Frage „Wie viel Klimaschutz können wir uns leisten?“ ist daher grundfalsch. Im grünen Kapitalismus leben wir besser als bisher: mit neuen Technologien, weniger Kosten, und mehr Lebensqualität. Der grüne Kapitalismus wird die fossile Industrie abstreifen und Wohlstand für alle schaffen.

Die Technologien dafür sind im Wesentlichen längst erfunden. Erneuerbare wie Solar und Wind, Ladesäulen, Batterien und Wärmepumpen sind längst da, und werden dank Massenfertigung und Lerneffekten immer besser und billiger. Wir müssen sie nur noch skalieren. Das wird nicht einfach – aber wir brauchen auch nicht auf die Wunderwaffe warten.

Die Revolution auf den Dächern, in den Garagen und in den Heizungsräumen ist jetzt da. Wenige, zentralisierte Großkraftwerke, die rund um die Uhr mehr oder weniger die gleiche Menge Strom produzieren, machen Platz für Millionen dezentraler Kleinkraftwerke. Schon bald vernetzen virtuelle Kraftwerke Millionen Solaranlagen, Speichern, E-Autos und Wärmepumpen, und integrieren sie intelligent ins Netz.

Die fossile Industrie erlebt gerade ihren iPhone-Moment. Es ist wie mit dem fossilen Auto, das vor 120 Jahren die Kutsche ablöste, oder wie mit dem Smartphone vor nicht einmal 20 Jahren. Die Menschen nehmen ihre Energie in ihre eigenen Hände. Der Kapitalismus schafft sich ab – und ersteht grün wieder auf.

Von Wolfgang Gründinger