Ein Plädoyer für mehr Authentizität

Unser Planet brennt – buchstäblich und metaphorisch. In den letzten Jahren, manchmal sogar Jahrzehnten, wurde viel über Themen wie soziale Verantwortung von Unternehmen (Corporate Social Responsibility, CSR), Unternehmensführung (Corporate Governance), nachhaltige Entwicklung, Triple Bottom Line, nachhaltige Finanzen, ESG (Environment, Social, Governance), Impact Investing, die UN Sustainable Development Goals (SDGs) oder den European Green Deal geschrieben.

So weit, so gut. All diese Maßnahmen – eingebettet in rechtliche Rahmenbedingungen – sind wichtige Meilensteine auf dem Weg zu einer gerechteren, sozial- und umweltverträglichen Umgestaltung unseres Planeten.

Aber wir haben einfach nicht genug Zeit!

Aus meiner Sicht stehen wir vor einer systemischen und einer spirituellen Krise, die tief verwurzelt ist.

Vor allem unsere westliche Mentalität neigt dazu, nach schnellen Lösungen zu suchen, wenn es um globale Probleme geht, die seit Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten entstanden sind. Der Planet Erde – über Jahrtausende entstanden – kümmert sich jedoch nicht darum, ob die von uns geschaffenen Systeme Quartalsergebnisse vorlegen müssen, den Ausstieg nach zehn Jahren mit zweistelligen Finanzrenditen planen, makroökonomische Wachstumszahlen (oder Rückgänge) optimieren oder sich mehr um den nächsten Wahlzyklus kümmern als um das Mandat, das sie überhaupt erst an die Macht gebracht hat.

Wir brauchen eine breit angelegte Debatte darüber, wie wir gerechte und nachhaltige Gesellschaften schaffen können, die in der Lage sind, innerhalb der Grenzen unseres Planeten zu leben. An einer solchen Debatte dürfen nicht nur Fachleute oder Bürokraten beteiligt sein, sondern auch Philosophen, Anthropologen, Künstler, Politikwissenschaftler und andere.

Was wir brauchen, ist eine massive Verhaltensänderung. Wir können kein grünes Wachstum oder bewussten Konsum propagieren, ohne das Gesamtbild zu betrachten, vor allem wenn es um die Zukunft unserer Kinder geht. Innovationen, oft angetrieben durch technologischen Fortschritt, können zu Effizienzsteigerungen führen, vor allem wenn sie auf Umweltbelange abzielen. Diese können sich zwar positiv auf die Kosten von Produkten oder Dienstleistungen auswirken, haben aber mit großer Wahrscheinlichkeit auch Einfluss auf das Nutzerverhalten: Ein Anstieg des Gesamtverbrauchs macht die ursprünglichen Einsparungen teilweise wieder zunichte. Dieser Effekt wird “Rebound” genannt. Wie die COVID-19-Pandemie gezeigt hat, ist es tatsächlich möglich, unser Verhalten zu ändern, auch kurzfristig. Das mag schmerzhaft sein, aber es ist notwendig, wenn wir sichtbare Ergebnisse im Einklang mit internationalen Vereinbarungen wie der UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung erzielen wollen.

Je mehr ich mich mit Fragen der Nachhaltigkeit beschäftigt habe, desto klarer wurde mir, dass die Grundlage für einen Wandel nicht in der Außenwelt, sondern in uns selbst zu suchen ist. Nachhaltiger Wandel beginnt damit, dass wir uns Fragen stellen, die vielleicht nicht immer einfach sind: Was kompensiere ich wofür? Wen möchte ich beeindrucken? Was verbirgt sich in mir?

Es gibt Gründe dafür, dass psychische Gesundheit und Wohlbefinden Trends sind, die sich durchsetzen werden. Mehr Stress und Lärm in unserer Umgebung haben dazu geführt, dass Menschen aller Altersgruppen – vor allem Stadtbewohner – Zuflucht in Meditationszentren, Klöstern oder anderen Orten der Stille suchen. Ängste vor unkontrollierbaren Ereignissen führen uns womöglich weiter auf eine Reise in unser Inneres. Aber wird sich dieser Trend auch auf unser Verhalten auswirken? Das bleibt abzuwarten, aber es gibt Hoffnung, da immer mehr Menschen, vor allem in der jungen Generation, moralische Maßstäbe setzen: Sie reisen lieber mit dem Zug als mit dem Flugzeug; sie konsumieren gebrauchte Produkte statt auf das neueste Gadget oder Kleidungsstück zu setzen; sie bevorzugen es, Konsumgüter oder ihr Lebensumfeld zu teilen.

Wenn wir uns darauf einlassen, bei unseren Entscheidungen und Absichten authentischer zu sein, können wir viel erreichen.

“Etwas zu verändern heißt nicht nur, die Dinge außerhalb von uns zu verändern. Zuallererst brauchen wir die richtige Sichtweise, die über alle Vorstellungen von Sein und Nichtsein, Schöpfer und Geschöpf, Geist und Seele hinausgeht. Diese Art von Einsicht ist entscheidend für Transformation und Heilung.”

Thich Nhat Hanh

Von Jörg Geier
Verkürzte Übersetzung des Originalartikels (auf Englisch); erstmals veröffentlich in Frankly, dem Magazin der deutschen Fulbright-Alumni-Vereinigung (Fulbright Alumni e.V.) sowie in Kopie als Meinungsartikel auf der Webseite des internationalen Club of Romes.