Noch nie hat sich die Weltbevölkerung in der Lebenszeit eines Menschen mehr als verdoppelt, wie es derzeit geschieht. Nach mittleren Schätzungen wird sie bis 2100 auf etwa 11 Milliarden anwachsen. Schon heute leben wir deutlich über unsere planetaren Grenzen. Kaum vorstellbar, wie Ökosysteme, Klima, Artenvielfalt, Ressourcenverbrauch und Abfallaufkommen sich bei wachsender Bevölkerung und steigenden Ansprüchen entwickeln werden.
Zwei Kollegen des Club of Rome, Jørgen Randers und Graeme Maxton, haben daher den Vorschlag gemacht, „in der reichen Welt“, wo der ökologische Fußabdruck besonders hoch ist, Familien mit nur einem Kind „als Vorbilder“ darzustellen und Frauen, die bis zu ihrem 50. Geburtstag nur ein Kind bekommen haben, eine Summe von 80.000 Dollar zu zahlen. Durch diese Maßnahme solle die „reiche Welt ein Beispiel“ geben und zum „Vorbild“ werden.
Die Lösung liegt nicht in einer Ein-Kind-Politik
Es gibt einiges, was ich an diesem Vorschlag begrüße: zum Beispiel dass Randers und Maxton nach unserer eigenen Verantwortung fragen und einen konkreten und zumindest theoretisch relativ einfach umsetzbaren Lösungsansatz präsentieren. Dennoch halte ich diesen Ansatz für problematisch, denn:
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Den größten ökologischen Fußabdruck haben die reichen, industrialisierten Länder. Viele dieser Länder haben ohnehin schon zu geringe Geburtenraten, um ihre demografischen Herausforderungen zu bewältigen, etwa den Fachkräftemangel oder die Rentenfinanzierung. Zwar mag eine kluge Einwanderungspolitik diese Herausforderungen lindern, doch Stabilität und Zusammenhalt der Gesellschaft hängen nicht nur von der Zahl der Menschen in ihr ab.
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Der Vorschlag adressiert das starke Bevölkerungswachstum nicht dort, wo die Wachstumsraten besonders hoch sind, wie zum Beispiel in Afrika.
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Der Beitrag der Ein-Kind-Politik zum Bevölkerungsrückgang in China ist umstritten – es gibt Stimmen, die diesen Rückgang eher sozioökonomischen Fortschritten als dem staatlich-autoritären Eingriff zuschreiben. Andererseits scheint diese Politik zu einer Zunahme von Abtreibungen und Menschenhandel, einem Mädchenmangel und einem Heer verhätschelter Einzelkinder geführt zu haben.
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Welche Botschaft vermitteln wir unseren Kindern, wenn wir (implizit) jedem Kind sagen, dass es eigentlich besser wäre, wenn es gar nicht da wäre? Bürden wir damit unseren Kindern nicht das auf, was wir Erwachsenen nicht bewältigt haben?
Doch was können wir stattdessen tun? Wir müssen Wege finden, in den reichen Ländern unseren ökologischen Fußabdruck zu reduzieren: durch nachhaltige Technologien, verändertes Verhalten und alternative Lebensstile – und durch ein Wirtschaftssystem, das mehr im Einklang mit der Natur steht. Wir brauchen eine neue Art von Wachstum, ein „Wachstum 2.0“, wie wir es in der Deutschen Gesellschaft Club of Rome nennen.
Wir brauchen bessere Lebensbedingungen in den armen Ländern
Wir müssen die Situation der Menschen in den armen Ländern so rasch wie möglich verbessern. Zum einen aus humanitären Gründen. Zum anderen aber auch, weil die Geburtenzahlen mit steigendem Wohlstand fast immer abnehmen. Natürlich dürfen wir anderen Ländern nicht neokolonialistisch vorschreiben, was sie zu tun haben. Aber unser Bemühen muss sein, die sozioökonomische Situation in den Entwicklungsländern rasch zu verbessern. Dies geschieht zum Beispiel durch Förderung regionaler Wertschöpfungsprozesse, durch Technologietransfer für ökologischeres Wirtschaften, durch Korruptionsbekämpfung und die Erhöhung der Transparenz von Finanzströmen sowie verbesserte Regierungsführung. Zudem müssen wir unsere Subventions- und Handelspolitik überdenken und den sich entwickelnden Regionen einen besseren Marktzugang ermöglichen, zum Beispiel indem wir sie bei der Qualitätssicherung unterstützen, damit sie die hohen Markteintrittsbarrieren der Industrieländer überwinden können.
Und schließlich: Anstatt Frauen in den reichen Ländern Geld zu geben (was gegebenenfalls den Konsum beschleunigen würde), wäre es besser, mit diesem Geld die Bildung in ärmeren Ländern zu unterstützen. Damit würden wir deren wirtschaftliche Entwicklung und Stabilität befördern, wodurch die Geburtenraten sinken würden – und zudem würden wir noch Exportmöglichkeiten für unsere Industrie schaffen.
Von Christian Berg