Die jüngsten Zahlen zeigen, dass wir kaum noch Zeit haben, um das Versprechen des Pariser Klimaabkommens einzulösen, die Erderwärmung auf deutlich unter 2°C zu begrenzen. Trotzdem steigen die globalen Treibhausgasemissionen. Zeit zum Umsteuern also. Wenn wir Paris ernst nehmen, dann müssen über 80 Prozent der Kohle- und über 60 Prozent der Öl- und Gasreserven im Boden verbleiben. Nahezu alle Investitionen, die jetzt und in naher Zukunft getätigt werden, müssten in erneuerbare und Öko-Energien fließen. Massives Energiesparen und klimaschonende Antriebstechnologien im Verkehrssektor müssten hinzukommen.
Deutschland ist vom Vorreiter zum Nachzügler geworden. Die Klimaschutzbilanz der vergangenen beiden Legislaturperioden ist mau, die Emissionen sanken nicht. Der Anteil des umweltschädlichsten Energieträgers, Braunkohle, ist so hoch wie nie. Die erneuerbaren Energien werden ausgebremst. Es fehlt eine nachhaltige Verkehrspolitik, die auf Vermeidung, Verlagerung und Elektrifizierung sowie Umwelt-, Klima- und Gesundheitsschutz setzt – selbst nach dem Dieselskandal. Das Klimaschutzziel für 2020 wird verfehlt werden.
Der Kohleausstieg muss endlich eingeleitet werden und in den kommenden zwei Jahrzehnten abgeschlossen sein. Das schafft ausreichend Platz für erneuerbare Energien und in der Übergangszeit für Gaskraftwerke wie auch für mehr Speicher. Es bedarf dezentraler Netze samt intelligenter Steuerung. Dies gelingt nur, wenn man den Strukturwandel klug begleitet. Anstelle von „Kohleabwrackprämien“ für das Stilllegen von ohnehin vom Netz gehenden Kraftwerken sollten besser Finanzhilfen für betroffene Regionen und Beschäftigte bereitgestellt werden.
Die Mahner warnen schon: man kann doch heute nicht schon wissen, was morgen ist! Außerdem müsse es einen Wettbewerb um die besten Technologien geben. Alles richtig, alles gut. Aber: die viel gepriesene „Technologieoffenheit“ kann zu Fehlentwicklungen, einseitigen Ausrichtungen und Log-in Effekten führen. Beispiel Verkehr: Die Erfüllung der Treibhausgasminderungen im Verkehrssektor hat unbequeme Wahrheiten zur Folge: 45 Millionen Fahrzeuge, die durchschnittlich knapp 23 Stunden am Tag herumstehen, wird es nicht mehr geben können. „Autogerechte Städte“ werden zu „Menschen gerechten Städten“. Die Digitalisierung wird die Mobilitätsdienstleistungen völlig verändern, hin zu Car Sharing und autonomen Fahren.
Da die erneuerbaren Energien im Zentrum der Energiewende stehen, ist eine direkte Elektrifizierung des Verkehrs technologisch und wirtschaftlich effizient und mit einem realisierbaren Zubau der Anlagen vereinbar. Batterien können zur Stromspeicherung und Entlastung der dezentralen Netze beitragen. Güter können mit E-LKWs oder direkt auf der Schiene transportiert werden. Für lange Distanzen bieten sich flüssige Treibstoffe an, die aus erneuerbaren Energien gewonnen werden, etwa mit Power-to-Gas. Das würde einen bis zu siebenfachen Mehr-Ausbau erneuerbarer Energien nach sich ziehen. Die Infrastruktur muss heute errichtet werden. „Technologieoffenheit“ kann zu „Sunk Investments“ führen.
Die staatlich garantierten Traumrenditen für Netzbetreiber führen zu hohen Kosten für Verbraucher. Systemdienliche Ausschreibungen auch für Netze wären hilfreich, wie jüngst von der Monopolkommission vorgeschlagen. Außerdem ist eine konsequent auf Klimaschutz ausgerichtete Steuerreform notwendig. Die Steuereinnahmen sollten die energetische Gebäudesanierung und den Umbau des Verkehrssystems stimulieren, Umweltbewusstsein belohnt werden. Deutschland ist Weltmarktführer als Anbieter von Klimaschutztechnologien, über zwei Millionen Menschen arbeiten hier. Erneuerbare Energien schaffen Partizipation und stärken die Demokratie. Klimaschutz ist das beste Friedensprojekt, das wir derzeit haben – für alle Länder in der Welt.
Von Claudia Kemfert