50 Jahre                             "Grenzen des Wachstums"

Perspektiven von Mitgliedern des Club of Rome Deutschland

Der Club of Rome war für seine Gründer ein Abenteuer des Geistes. Sie trafen sich, um voneinander zu lernen, zu explorieren, was sie noch nicht wussten und durch Perspektivwechsel neue Erkenntnisse zu gewinnen. Es galt, dies auch möglichst vielen Menschen zu ermöglichen. Für Aurelio Peccei – den Gründer des Club of Rome – ging es mit dem Bericht Die Grenzen des Wachstums darum, “dass alle einen großen Schritt des Verstehens machten” und zum Nachdenken angeregt wurden.

Diesen Gedanken fortführend beantworten Mitglieder drei verschiedene Fragen anlässlich des 50. Jubiläums von Die Grenzen des Wachstums.

Drei Fragen. Verschiedene Antworten. Und was ist Ihre eigene?

Was können wir aus dem Bericht heute noch lernen und welche Bedeutung hat der Bericht heute noch?

Dr. Thomas Bruhn

“Wir können lernen, dass kluge Erkenntnisse Diskurse prägen, aber nicht notwendigerweise Verhalten verändern. Gleichzeitig markiert der Bericht einen Wendepunkt im Selbstverständnis und der Selbstreflexion des westlichen Zivilisationsmodell.”

Prof. Dr. Christian Berg

“Ein bleibender Ertrag der „Grenzen des Wachstums“ ist es, die Bedeutung der Zusammenhänge ganz unterschiedlicher Entwicklungen verdeutlicht zu haben. Dabei ist es bedeutsam, dass der Titel des Buches von Grenzen im Plural spricht. Es ist unerheblich, ob in dem zugrundeliegenden Modell der ein oder andere Parameter noch ein paar Jahrzehnte länger beherrschbar bleibt – solange das Wachstum ungebremst weitergeht, wird das System früher oder später zusammenbrechen.”

Uli Mayer-Johanssen

Die Grenzen des Wachstums haben eine ganze Generation wachgerüttelt und zur Umkehr und zum Umdenken aufgefordert. Dennoch endete weder Ausbeutung, Raubbau und Zerstörung. Mahnen und Wissen alleine wird es nicht richten. Wir müssen ins Handeln kommen und lernen, unser Wissen und unsere Fähigkeiten zu nutzen, um uns gemeinsam endlich auf den Weg zu machen.”

Fabian Brandt

“Die Grundaussage, dass unbegrenztes Wirtschafts- bzw. Konsumwachstum, das mit dem Verbrauch physischer Ressourcen einhergeht, nicht langfristig durchzuhalten ist, ist genau so aktuell wie zum Erscheinen des Buches! Und noch immer hat sich diese Erkenntnis leider in weiten Kreisen nicht herumgesprochen, der „Bildungsauftrag“ des Club of Rome bleibt daher bestehen. Dabei wäre diese erste, grundlegende, ganz einfache Einsicht die Voraussetzung für tiefgreifendes Umlenken in nahezu allen gesellschaftlichen und politischen Fragen. “

Dr. Petra Künkel

“Der Bericht an den Club of Rome ist am meisten bekannt für seine negativen Szenarien. Er hat viele Menschen wachgerüttelt und selbst, wenn man irgendwo in der Welt auf dem Land ist – die Menschen kennen den Titel des Buches, auch wenn sie den Club of Rome nicht kennen. Was weniger bekannt ist, dass er auch eine wirklich emotionale Zukunftsvision enthielt – eine Welt in Balance, die wir herstellen können und müssen. Es geht darum, menschlichen Bedürfnissen nach Entwicklung gerecht zu werden,  und zwar auf eine Weise, die die natürlichen, menschlichen und gesellschaftlichen Ressourcen bewahrt, und innerhalb der Planetaren Grenzen möglich ist. Das müssen wir auch heute noch lernen – diese Zukunftsvision in den Vordergrund zu stellen, weiter zu entwickeln und überall an ihrer Umsetzung zu arbeiten. Jede und jeder zählt! Ich bin mir sicher, dass der neue Bericht an den Club of Rome dieses Jahr das stark unterstützt.”

Jörg Geier

“Der Bericht – das haben Zukunftsszenarien so an sich – war ein Versuch, künftige Entwicklungen und damit Komplexität wissenschaftlich nachvollziehbar abzubilden. Grenzen des Wachstums enthielt zwölf Szenarien, um unterschiedliche ökonomische Entwicklungspfade aufzuzeigen. Für ihre Annahmen hatte die Forschergruppe am MIT ihre Computer ausgiebig mit Daten gefüttert. Entgegen vielfacher Behaupten handelte es sich dabei nicht um Vorhersagen, denn im Idealfall führen Einsicht und Verhaltensänderung bei den Menschen aufgrund möglicher Risiken zu anderen Ergebnissen, um so insbesondere das „Worst-Case-Szenario“ erst gar nicht wahr werden zu lassen.

Leider lässt sich aus den (Nicht-)Reaktionen der Menschen auch ablesen, dass Menschen im Querschnitt zu einschneidenden Verhaltensänderungen lediglich bereit sind, wenn sie persönlich betroffen sind oder keine andere Möglichkeit mehr sehen. Die Coronavirus-Pandemie ist hierfür ein gutes Beispiel. Umgekehrt lässt sich daraus schließen, dass gerade die Länder, Industrien und damit auch deren Bevölkerung, die maßgeblich zur Klimaveränderung beitragen, deren Auswirkungen noch nicht genug verspüren, da sie sonst mit mehr Nachdruck handeln würden. Häufig sind es die Opportunitätskosten – z.B. unmittelbare Beschäftigungszahlen versus Kosten des Klimawandels als ökonomische Gradmesser –, die den Ausschlag geben für das kurzfristige (Nicht-)Handeln der Exekutive.

Daher sind Die Grenzen des Wachstums heute so aktuell wie damals.”

Tina Teucher

“Auch heute noch macht uns der Club of Rome Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ klar: Alles, was wir hier und jetzt tun, hat auch woanders und später echte Auswirkungen. Auf unserem Planeten hängt alles zusammen. Nur wenn ich über meine eigenen räumlichen und zeitlichen Grenzen hinaus denke, kann ich meine und unsere Zukunft wirklich mitgestalten.”

Donella Meadows, Co-Autorin des Berichts, hatte die Vision einer Welt in Balance mit ausgeprägter systemischer Resilienz. Was fördert ihrer Ansicht nach eigene, wie auch systemische, Resilienz?

Prof. Dr. Christian Berg

“Um die Widerstandsfähigkeit von Systemen zu erhöhen, muss es Puffer und Redundanzen geben, in gewissem Sinne also das Gegenteil von Effizienzsteigerung. Beispiel Gesundheitssystem: die Bemühungen um Effizienzsteigerung, Kostenreduktion bzw. Gewinnmaximierung haben mit der Zeit die Arbeitsbedingungen immer mehr verschlechtert und den heutigen Pflegenotstand mitverursacht. Dasselbe Effizienzdenken hat auch ganze Industriezweige nach Übersee abwanden lassen (Beispiel Antibiotika), weil die heimische Produktion zu teuer geworden ist. Oder es hat zum „Höfesterben“ in der Landwirtschaft beigetragen, weil die Erzeugerpreise für kleine Betriebe schlicht zu niedrig sind und nur große Höfe mit riesigen „Mono-Kulturen“ (eigentlich ein Unwort, denn Kultur ist immer vielfältig) überleben können, was durch Fehlanreize bei den Subventionen noch gefördert wird.”

Dr. Maya Cosentino

“I believe that an important source of resilience is rooted in our relationships. In community, relationships can cultivate resilience by leading to social identity (i.e., the perception of oneself as belonging to a social group), collective efficacy (i.e., the belief that one’s group can accomplish valued goals), and positive deviance (i.e., the recognition and collective use of individual community members’ successful solutions).”

Dr. Thomas Bruhn

“Der Weg in Richtung Resilienz enthält aus meiner Sicht grob drei Elemente: Einerseits die Überwindung von Abhängigkeiten, persönlich-psychischer Natur ebenso wie äußerlich-materieller Natur. Andererseits die Diversifizierung der eigenen Fundamente (auch hier: psychisch ebenso wie materiell). Und drittens das Knüpfen möglichst resonanter (also eben nicht auf reinem Nutzen und wechselseitiger Ausbeutung beruhender) Beziehungen rund um gemeinsame Werte.”

Uli Mayer-Johanssen

“Maß halten und dem alleinigen Effizienzdenken Effektivität und Sinnhaftigkeit an die Seite stellen.”

Fabian Brandt

“Resilienz bedeutet, bewusst Ressourcen zu investieren in die Errichtung kleinerer, nachhaltiger Strukturen, die auch in Krisenzeiten funktionieren, weil sie in vielen wesentlichen Dingen autonom sind und mit geschlossenen Kreisläufen arbeiten. Auch wenn dies vorübergehend mit Kosten verbunden ist. Deutschland wäre resilienter gegenüber politisch bedingten Energiekrisen wie der jetzt im Streit mit Russland drohenden, hätte es früher entschlossen investiert, um sich mit erneuerbaren Energien weitgehend energieautonom zu machen.”

Dr. Petra Künkel

“Donella Meadows Systemblick erinnert uns daran, dass nicht nur unser Handeln, sondern auch unsere innere Haltung und unser Denken Realitäten voranbringen oder verhindern. In diesem fortlaufenden Prozess der Ko-Kreation von Wirklichkeit sind Gleichgewicht oder Harmonie immer nur vorübergehend vorhanden. Resilienz – unsere individuelle, die von Organisationen oder sogar die von Gesellschaften – ist ein empfindliches und dynamisches Gleichgewicht, das kennen wir von uns selbst – wir müssen uns ständig darum kümmern und nichts bleibt, wie es ist. Mehr noch, wie Systemtheoretiker*innen vermuten, ist das dynamische Gleichgewicht, der „Sweetspot der Resilienz“ meist am Rande des Chaos (!!!) und eben nicht dort, wo die Ordnung am stärksten ausgeprägt ist. In festen Strukturen und rigider Ordnung ist sicherlich das Beharrungsvermögen und die Widerstandsfähigkeit am Größten, aber die Anpassungsfähigkeit und Flexibilität sind am schwächsten ausgeprägt. Dies sollte uns zu denken geben, wenn wir Unternehmen, Organisationen, Institutionen und ganze Gesellschaften in eine Zukunft führen wollen, die für das komplexe System Erde und uns Menschen darin funktionieren kann.”

Jörg Geier

“Es lohnt sich hier ein Blick in die Geschichte: Wenn die Not der Menschen groß war, stand die Gemeinschaft – die Kollaboration der Menschen untereinander – im Vordergrund und nicht das Individuum. Das darwinistische Weltbild des „Survival of the fittest“ bezieht sich in der Regel auf eine Gruppe und nicht nur auf einen Einzelnen. Dieses Merkmal bringt für mich die Qualität und den Wert von Resilienz zum Ausdruck, nämlich die Vorteile der Zusammenarbeit, um das System als Ganzes zu stärken.

Tina Teucher

“Resilienz wird mit „Widerstandskraft“ übersetzt. Aber wem und was wollen wir uns widersetzen? Was ist das Gegenteil einer vielleicht dystopischen Zukunft? Die Resilienz-Kraft wächst, wenn wir uns erlauben, utopisch statt dystopisch zu denken. Wenn wir das nähren, was uns selbst und als Gemeinschaft gut tut – was also im „Widerspruch“ zu dem steht, dem wir Widerstand leisten wollen. Wir brauchen erst eine Vorstellung davon, wie die wünschenswerte Welt praktisch aussehen kann, wie sie sich anfühlt, klingt, riecht und schmeckt. Solche Kraftquellen sprudeln oft im Kleinen: Täglich etwas zu (er)leben und bewusst zu genießen, was man sich für die Zukunft wünscht, stärkt Resilienz – für den einen ist es ein spannendes Buch, für die andere schöne Musik, andere streicheln ein Tier oder essen mit Freunden.”

In Die Grenzen des Wachstums steht auch, dass alle Maßnahmen nur von Erfolg gekrönt sein würden, wenn es einen Wertewandel gäbe. Wie kann jeder einzelne sich in einem solchen üben und befördern?

Prof. Dr. Dr. hc Ernst Ulrich von Weizsäcker

“Der Wertewandel sollte die Überbetonung von Geiz, Egoismus und Individualismus zurückdrängen.
Gut wäre es, wenn auf dem Markt die Preise ungefähr die ökologische Wahrheit sagen.”

Prof. Dr. Christian Berg

“Die Dinge, die man als richtig erkannt hat, im Kleinen konsequent umsetzen.”

Dr. Thomas Bruhn

“Im Zentrum muss meiner Meinung nach der Mut stehen, vertraute Gewohnheiten hinter mir zu lassen, um radikal neue Erfahrungen des Seins zu machen. Ganz konkret bedeutet dies, eine Atmosphäre des geschützten Miteinander zu fördern, in der eine ehrlich-konstruktive Konfliktkultur entstehen kann, damit alle Beteiligten an schmerzhaften Wahrheiten wachsen können. Gleichzeitig betrifft dies nicht nur mich selbst und jeden einzelnen, sondern letztlich uns alle gemeinschaftlich auf global verbundenem Maßstab!… Wie das gelingen kann? Darauf gibt es vermutlich keine Antwort, sondern nur ein beharrliches Vorwärts-Tasten mit vielen kleinen unterschiedlichen Antworten entlang des Weges.”

Fabian Brandt

“Der nötige Wertewandel ist der von einer Glückserwartung, die an physischen Konsum gerichtet ist, hin zu einem Glück, dass sich – nachdem die Grundbedürfnisse befriedigt sind – aus immaterieller Inspiration speist: Neues lernen, Freundschaften entwickeln, eigene Grenzen erweitern.”

Dr. Petra Künkel

“Zentral ist, dass es nicht einfach nur um einen Wertewandel geht, sondern darum, dass wir global, wie Riane Eisler, die ja auch Mitglied im Club of Rome ist,  es in ihrem Fachbuch „Kelch und Schwert“ so eindrücklich ausgeführt hat. Das Schwert steht für das patriarchale Dominanzmodell, in dem Zerstörung, Extraktion, Ausnutzung und letztlich Zerstörung von Menschen und Natur im Vordergrund stehen. Der Kelch steht für das Partnerschaftsmodell, in dem Teilhabe, Kümmern, Aushandlungsprozesse, Regeneration und vor allem Lebendigkeit, im Sinne einer Systemvitalität, im Vordergrund stehen. Der Klimawandel ist in dem Sinne ein Ergebnis des im wahrsten Sinne des Wortes Vorherrschens des Dominanzmodells. Die Geschichte, und gerade auch die aktuelle, zeigt, dass die Systemtransformation zum Partnerschaftsmodell immer wieder friedlich erkämpft werden muss – ohne Schwert. In eine zukünftige Welt in Balance gehört das Partnerschaftsmodell. Das überall und immer voranzutreiben, ist unser aller Aufgabe.”

Uli Mayer-Johanssen

“Verantwortung übernehmen und an einer positive Vorstellung von der Zukunft arbeiten.”

Jörg Geier

“Werte und ein Werteverständnis prägen sich aufgrund verschiedentlicher Entwicklungen und Umstände heraus. Erziehung, Sozialisierung, Kultur, Religion sind hier maßgebliche, aber nicht die einzigen Faktoren. In all diesen Systemen und Subsystemen müsste auf das Selbstverständnis eingewirkt werden, um einen wirklichen Wertewandel dauerhaft zu etablieren. Und am besten fängt man hier bei sich selbst an und geht mit gutem Beispiel voran. In den Worten von Dennis Meadows: „Actions speak louder than words.”

Tina Teucher

“Es sind Erlebnisse und Begegnungen, die Werte wandeln. Viele, die sich heute für Nachhaltigkeit engagieren, hatten einen Schlüsselmoment oder intensive Gespräche mit Menschen. Mancher ändert seine Haltung zum Fleischkonsum durch Bücher wie „Tiere essen“. Manche kamen durch lange nächtliche Diskussionen mit Freunden zu neuen Einsichten. Manche fühlen sich von einem Film oder einer Rede aufgewühlt. Wir können solche Erlebnisse für uns und andere nicht künstlich herbeiführen, aber anziehen –  durch eine Haltung der Offenheit und Neugier.”